Seit einigen Wochen schlafen nun die Bären nahe der russischen Grenze in der Region Vuokatti in ihren Höhlen. Sie überwintern mit ihren Reserven, die sie sich in diesem Sommer angefressen haben. In Begleitung von Wildtierfotograf Lassi Rautiainen und seinem Sohn Sami bot sich noch vor wenigen Wochen ein Naturschauspiel, als sich die Pelze und ihre Freunde den Bauch voll schlugen und wir mucksmäuschenstill in den Bretterhütten in der finnischen Taiga ausharrten.
„Ab jetzt an wird nur noch geflüstert!“, mahnt uns Sami bevor wir aus dem Geländewagen aussteigen und zu den kleinen Hütten am Waldrand laufen. Wir sind schwer bewaffnet mit Kameras und Proviant. Der Freitagabend wird gesellig werden, verspricht man unsere achtköpfige Gruppe, und schon als wir das Lager beziehen schleicht der erste Waldbewohner durch den gelben Sumpf, der sich vor uns durch die engen Sichtschlitze aus Plexiglas auftut. Ein Panorama, das sich herrlich staffelt: Von Wald umrahmt mit zarten Baumausläufern erstreckt sich eine offene Lichtung. Dort liegt die Beute aus, die die wilden Tiere anlocken soll. In der Ebene dahinter wird die Fläche weit und Senfgelb. Ein ehemaliger See liegt hier Ende August mit leuchtendem Gras friedvoll als Sumpf da.
Die Bären kommen
Den ersten großen Bären treibt es zu den Behausungen, als wir gerade so die Tür geschlossen hatten, denn der Hunger und der Duft des Fleisches sind wie der Kompass, der ihn lenkt. Schnell packen wir die Kameras aus und fummeln die Objektive durch die Stoffabdeckung. Majestätisch kommt der Bär aus dem Waldstück, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und macht sich über den Schweinekadaver her. Er hört und vor allem riecht er uns, doch ist die Gier zu groß, denn sichtbar sind wir in den Hütten für den großen Pelzigen nicht.
Beeindruckt sind alle, als er sich nach einer Weile am Buffet, mit dem Saukopf davon trollt. So schnell hatte wohl keiner mit diesem Schauspiel gerechnet. Uns beschleicht dabei ein Gefühl, als ob wir die Tiere sind, die hier mit „Popcorn und Cola“ beobachtet werden. Man brauche aber keine Angst haben, einem Bären oder gar Wolf in der Wildnis zu begegnen, beruhigt uns Sami nach dieser ersten eindrücklichen Begegnung. „Sie nehmen den Geruch von Menschen viel früher war, als wir sie auch nur sehen. Dann flüchten die Tiere!“
Nach dieser Überrumplung richten wir uns ein und mehr und mehr Bären kommen nach einander zu den Futterstellen. Das Beobachten der Tiere und das Fotografieren hat etwas Meditatives und unheimlich Beruhigendes. Kaum einer flüstert während sich auf der Fläche vor uns Natur hautnah abspielt.
Die finnischen Namen des Bären
In der finnischen Folklore und Mythologie war es verboten den Bären darzustellen oder ihn beim Namen zu nennen – anders als beispielsweise den Elch. Viel zu groß war die Furch, Meister Petz würde erscheinen. Der eigentliche Name Otso wurde gleichgesetzt mit dem Geist des Bären und deshalb – mehr oder weniger – beschönigend, aber nicht weniger ehrfürchtig umschrieben: Karhu (raues Fell) ist heute das gängige Wort für den Bär, während Nalle das Synonym für einen Teddy geworden ist. Vanha Antti (alter Andreas), mesikämmen (Honigtatze), kontio, harvakarva (Dünnbehaarter), tasakärsä (Geradschnautziger), lyhytjalka (Kurzbeiniger), lullo, lallo, verkahousu (Tuchhose) oder einfach metsänmies (Mann des Waldes) sind nur eine kleine Auswahl, der unzähligen oft nur regionalen Beinamen des Braunbären¹. Man war also erfinderisch den Großen zu benennen.
Der Tanz im Sumpf
Während die Bären das Buffet plündern, schleicht am hinteren Bildrand ein Wolf durch die Prärie. Er sondiert die Lage und würde gerne etwas von den Leckerbissen stehlen. In einem Moment, da kein Bär sich an den Beutestellen tummelt wagt der beige Isegrim etwas näher zu kommen. Er schnüffelt, nimmt uns wahr und zögert, schließlich ist das Futter verlockend.
Er spitz die Ohren, als das Rattern der anderen Fotokameras Maschinengewehr gleich über die Weite schallt. Der Wolf trollt sich und sein zartes Intermezzo wird von einem weiteren gemütlichen Bären abgewechselt. Wir sind alle ganz beseelt trotzdem. Bären und ein Wolf in der Natur – für ein paar andere Gäste war dies ein Lebenswunsch gewesen. Wir sind alle glücklich
Als die Dämmerung sanft einsetzt, wir packen bereits unsere Habseligkeiten ein, geht ein Zischen durch die Hütte. Nachdem die Bären sich verzogen hatten, tauchte ein flapsig hopsender Vielfraß auf. Fast wie ein Clown wirkt er nach all der Anmutigkeit der Vorgänger. Von den Fleischresten ist noch etwas übrig und er stielt ein großes Stück und hoppelt davon.
Plötzlich läuft ein Wolf aus dem Unterholz auf das Mardertier zu und umkreist es. Ja fast tanzt der Isegrim. Der Vielfraß ist stark und lässt sich nicht beirren. Jetzt taucht ein zweiter Wolf auf, rennt auf ihn zu! In diesem kurzen Moment der Ablenkung schnappt sich der erste Listige die Beute und bringt es in Sicherheit.
Was für ein Grand Final! Ein Vielfraß kann mühelos einen Elch erlegen (!) mit seinen langen starken Krallen und es braucht zwei Wölfe, um ihn zu überlisten. Die Gruppe ist sprachlos und überwältigt.
Die Begegnung mit den Wildtieren, dort oben am Rande Europas hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt. Die Bären, Wölfe und Vielfraße und all die anderen wilden Tiere leben dort so natürlich wie seit eh und je. Der Mensch wirkt fast wie deplatziert und flößt doch gehörig Respekt vor der Natur ein. Konntet ihr auch schon einmal eine solche Naturerfahrung machen? Erzählt mir doch davon!
¹ Quelle: Uuno Taavi Sirelius: Die Volkskultur Finnlands; Bd. 1, Jagd und Fischerei in Finnland. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2016, S. 14
Das würde ich auch gerne mal machen.