Vielseitiges Nord Savo: Von eisigen Trollen und geschwätzigen Finnen

Hinweis: DIeser Artikel erschien zuerst in NORDIS 3/2021 und entstand in Zusammenarbeit mit Savo Grow.

Nord Savo? Irgendwo im Nirgendwo? Hinterwäldler? Von wegen! Auch wenn die Savolainen gerne einmal etwas dicker Auftragen und definitiv nicht auf den Mund gefallen sind: Die im Landesinneren versteckte Region um Kuopio überrascht an allen Ecken mit frischen Ideen für Reisende jeder Fasson auf der Höhe der Zeit. Ein herrlicher Mix aus finnischem Erfindergeist und Tradition.

„Ist hier der Mittelpunkt Finnlands?“ Gemütlich dreht sich die Restaurantplattform des Puijo Aussichtsturms auf dem gleichnamigen Hausberg der Stadt Kuopio, als dieser Gedanke sich breit macht. Die nördlichen Ausläufer des ausgiebigen finnischen Seenlands liegen den Gästen hier wunderschön zu Füßen. Geografisch befinden wir uns hier nicht direkt um Zentrum des Landes – der ist noch etwas nördlicher – aber von Helsinki ist die Provinz um die Universitätsstadt in der Region Nord Savo rund 4-5 Stunden mit dem Zug oder Auto entfernt. Man begibt sich also tief ins Landesinnere. Dabei findet man hier tatsächlich ein Mittelpunkt – Kuopio ist zurecht selbsternanntes Zentrum der kulinarischen Welt. Um sich die Spezialitäten zu verdienen ist Nord Savo auch für outdoor-aktive Touristen und Familien weltspitze in vielerlei Hinsicht.

Foto: Wille Markkanen
Foto: Wille Markkanen

Von Holzfällerhütten, Flößern und Ikonen

Ein fröhliches Jauchzten geht durch die Menge der Zuschauer am Ufer, als der waghalsige Stiefelträger akrobatisch auf den losen Baumstämmen im See tänzelt. Die Stämme wirbeln um die eigene Achse und er hüpft gekonnt auf den glitschig-nassen Treibholz. Zur Begeisterung der Kinder spritzt es gewaltig, wenn der Flößer seine Kunst zur Schau stellt, wie einst die Holzstämme im Wasser bewegt, verzurrt und zu den Sägemühlen manövriert wurden. Auf der kleinen Halbinsel Rauhalahti bleibt diese Tradition in der Jätkänkämppä (fin. Holzfällerhütte) aus dem späten 19. Jahrhundert lebendig. Eine harte und entbehrungsreiche Arbeit, die die Männer oft mehrere Wochen und Monate im Wald fern von der Familie kampieren ließ. Oft nur das berühmte Kalakukko dabei – Heute eine regionale Spezialität, auf die man Kuopio oft reduziert. „Wie einsam muss das Leben in der Holzfällerbehausung gewesen sein“, das fragt man sich, während man heute bei unterhaltsamer Akkordeon-Musik die lokalen, rustikalen Köstlichkeiten des Buffets in den der ehemaligen Waldhütte genießt und auf seine Saunarunde hin fiebert: Angenehm heiß kommt es der nackten Haut entgegen, wenn sich die dunkle Holztür zu einer der größten Rauchsaunen der Welt öffnet. Die sehr sanfte Hitze verteilt sich zwischen den bis zu siebzig Saunaverrückten, die alsbald danach in den See Kallavesi zur Erfrischung hüpfen – im Winter dippt man natürlich stilecht in ein Eisloch direkt vorm Steg. Ob das Leben der Holzarbeiter genauso romantisch war, bleibt zu bezweifeln, aber heute ist es an lauen Sommertagen das perfekte Abtauchen in eine Vergangene Zeit, die bestimmt nach frischem Holz, leckerem Essen und Saunarauch gerochen haben muss.

Von einer anderen entbehrungsreichen Geschichte erfährt man etwas abgelegen vom Stadtzentrum Kuopios beim Großen Friedhof: Golden schimmern die Ornamente des ansonsten schlichten Baus. Ein solitärstehender Turm mit einem fulminanten Glockenensemble lässt erahnen, dass es sich hier um ein ganz besonderes Kleinod handelt. Das Museum Riisa erzählt von der bewegten Historie der finnischen orthodoxen Kirche und im Einzelnen von den Werdegängen der eindrücklichen Ikonen. Die Sammlung bewahrt buchstäblich eine bemerkenswerte Fülle an sakralen Schaustücken wie feinen Talaren, Ikonostasen, (die schmuckvollen Trennwände zum Altarraum) und ganz alltäglichen Gegenständen der orthodoxen Christen, die einst aus dem östlich gelegenen Karelien vertrieben wurden und sich in der Region niederließen. „Wir handeln damit ganz im Erbe des Valamo-Klosters im heutigen Russland, forschen und bewahren“, sagt Teresa Töntsi, Direktorin des Museums, stolz und deutet dabei stolz auf die funkelnde Riisa im Foyer – ein goldener Schutzmantel, der die Ikone schützt und als Sinnbild ihrer Aufgabe steht. Ganz besonders kurios ist die gestiftete Ikonen-Sammlung des Künstlers Risto Vilhunen, der als Lutheraner aus reiner Ästhetik, unzählige Ikonen rettete, um die immense Schaffenskraft der vielen teilweise unbekannten Ikonenmaler zu würdigen. Ikonenmalerei betrachtet man als eigene Kunstform, die bis in die Gegenwart betrieben wird. Das Museum gibt Außenstehenden erhellende Einblicke in fremde Rituale und schillernde Traditionen dieser lebendig und lebensfroh gelebten Religion und wirft ein helles Licht auf ein überraschend unbekanntes Stückchen Finnland.

Der unbekannte Ort der Superlative und geschwätzigen Finnen

Von „hoch droben“ kommt in Nord Savo nicht nur der seelische Beistand. In der sportbegeisterten Region schwebten schon Jens Weißflog, Janne Ahonen und Martin Schmitt auf Weltrekordjagd von den Schanzen des 110 Meter hohen Puijo-Berg. Die Silhouette mit dem Aussichtsturm prägt bis heute große internationale Ski-Wettkämpfe. Als schneesichere Gegen ermöglicht das rund eine Stunde entfernte Skigebiet rund um den Schwesterberg Tahko auch Freizeitsportlern den tiefen Winter auf rund 20 Kilometern Pisten und über 100 km Loipen zu genießen. Doch die Spuren der Langläufer sind bestens geeignet für ungewöhnliche Erkundungstouren: Bergauf geht der Weg und mit gemütlichem Treten bewegen sich die dick verschneiten Fichten an mir vorbei. Das E-Fatbike mit den Spikes zieht mich entlang der Loipenspuren mit einer guten Portion Rückenwind fast geräuschlos den Berg hinauf. Durch die breiten Reifen hat das E-Bike maximalen Gripp und schnell vertraut man der ungewohnten Situation auf der geschlossenen Flockendecke zu radeln – Endorphinausschüttung inklusive, besonders wenn es wieder bergab geht.

Obwohl das Dorf am Syväri-See mit seinen 8500 Betten in Resorts, Mökkis und Wellness-Apartments hauptsächlich für den Wintertourismus gewappnet ist, lohnt sich trotzdem ein Sommerbesuch. Nicht nur die Fat-Bikes stehen dann zur Verfügung. Für Outdoorfreunde gibt es hier von, Angeltrips bis Wandertouren die volle Palette des finnischen Sommers zu erleben, doch die wahre Herausforderung hält die Besteigung des Tahko-Gipfels bereit: Auf der Tahkon Portaat – der längsten Treppe Finnlands mit 1056 Stufen – kann man sich richtig verausgaben. Ein beliebter Spot nicht nur für eingefleischte Wanderer. „Ein neuer Trend ist das hier in Finnland“, weiß Merja, Managerin des Spa-Hotels, über die „Stairs Runner“ zu berichten. Für die Triathleten, die an der neu etablierten Iron Man-Challenge teilnehmen, sind diese Stufen sicherlich der perfekte Trainingsort. Gestartet wird der übrigens von der langen Pontonbrücke, die über der Bucht gespannt, Dorf und Abfahrtspisten Sommer wie Winter verbindet. Die Bucht hat die intime Anmutung eines Alpensees und Partywütige finden hier in „normalen Zeiten“ die passende Aprés Ski-Locations im Winter. Im Sommer steht das unbändige Naturerlebnis im Vordergrund und wer es auf den Gipfel schafft – der Sessellift wird glücklicherweise ganzjährig betrieben – wird mit einer fulminanten Aussicht auf die Seenlandschaft belohnt. Zukünftig kostet man das Panorama nicht nur beim Einkehrschwung in Gipfelbar aus, sondern auch in Saunen des neuen Spas. Tiefenentspannung braucht man nämlich unbedingt, wenn man mit der zum Taxi umfunktionierten Pistenraupe nach einem fröhlichen Abend zur steilen Talfahrt einschlägt. Ein Heidenspaß!

Doch eines steht fest, in Nord Savo denkt man gerne in Superlativen. Das mag dem Gemüt der Einheimischen geschuldet sein: Unter den Finnen gelten sie als die Geschwätzigsten, immer einen verschmitzten Witz auf den Lippen. Die finnischen Frohnaturen sprechen nämlich einen eigenwilligen Dialekt: Savolax. Hinter dem Wort „Saana“ versteckt sich nicht nur der savonische Ausdruck für Sauna: Im Süden Kuopios, direkt am Kallavesi, steht das moderne Spa „Saana“. Man muss nicht nach Dubai, um Körper und Geist stilvoll zu verwöhnen: „Nach der Rauchsauna kann man hier wunderbar im Infinity-See-Pool entspannen und selbst im Winter hat man das Gefühl im See zu chillen“, schwärmt Karoliina Rnjak über ihre See-Pool-Spa. „Ein wirklich relaxtes Ambiente mitten in der Natur und nah an der Stadt.“

Foto: Saana Spa

Im bezaubernden Reich der Eis-Mumins

„Gleich sind wir 30 Meter unter der Erde tief im Felsen!“ Vesas Augen strahlen und er schließt seine Winterjacke. Der Fahrstuhl öffnet sich und wir treten in eine eisige Welt, erleuchtet von pastelligen Pink- und Blautönen. Schimmernde Eisfiguren über mannshoch begrüßen die Kleinen und Großen, die heute wieder Kind sein dürfen. Muminpapa und Muminmama heißen jeden willkommen, der die Eishöhle von Leppävirta betritt, um sie zu erkunden. Neun Monate im Jahr (Ende Dezember bis August) wird der unterirdische Skitunnel zur Zauberwelt aus dem Mumintal. Jedse Jahr aufs Neue fiebern allen kurzen Abendeuter der Trolle mit. Mit großen Augen staunt man über die detaillierten, aus klarem, natürlichen Lapplandeis geschnitzten Mumin-Figuren, die unheimlich lebendig eine Episode der neuen 3D-Fernsehserie erzählen. Die Anlage gehört zum Sport- und Spa-Hotel Vesileppis. Wer im Familienurlaub einmal mit Kind und Kegel abtauchen will, dem eröffnet sich hier neben einer verzauberten Trollwelt auch ein umfangreiches Freizeitprogramm.

Naturpfade mit einfachen Erklärtafeln war übrigens gestern. Um die Natur für die medienerfahrenen Knipse attraktiv machen ist man im Naturschutzgebiet rund um den Puijo-Aussichtsturm ganz vorne mit dabei. Stichwort: Augmented Reality. Wo man früher viel Text zu einer Tiergattung erlesen musste, findet man heute nur noch ein gerahmtes Foto im Wald stehen. „Die App erfasst die Tafel und projiziert auf dem Bildschirm das Video in den Rahmen. Dies funktioniert, ebenso auf der Speisekarte in unserem Restaurant, oder den Broschüren für die Touristen“, erklärt Markku Komppula während er das Smartphone waagerecht der Tafel eines Vielfraß entgegenhält. Die kleine Videodokumentation bleibt im Rahmen verhaftet, auch wenn sich der Betrachter bewegt.

Kulinarischer Genuss auf höchstem Niveau

Die virtuellen Schautafeln ergänzen das Menü des einmaligen Drehrestaurants im Puijo-Turm um kleine Video-Botschaften der Erzeuger in der Region. Der 1963 gebaute Aussichtsturm dreht seine Restaurantplattform auf zusätzlichen 75 Metern Höhe während eines Menüs um 360 Grad. Gemütlich genießt man bei lokalem Food-Kreationen die Seenlandschaft. Natürliche Materialen zieren die Ausstattung, am Buffet zwitschern Vögel oder summen die Bienchen. Dining auf höchstem Niveau – Wort wörtlich: European Region of Gastronomy is Kuopio noch in diesem Jahr. Wer Finnlands größtes Erdbeeranbaugebiet (in Suonenjoki) und die größte Privatbrauerei Finnlands (in Iisalmi) sein „Eigenen“ nennen darf, trägt diesen Titel zurecht. Und seit jeher ist Kuopio für den Kalakukko bekannt. Den Berühmtesten des Landes kauft man bei der „Kalakukkoleipomo Hanna Partanen“ in der Markthalle. Auf den in Brot gebackenen Fisch (Muikku, Lachs oder Basch) wurden schon Lieder gesungen und gedichtet, denn schließlich ist unweit der Markthalle der kulinarische Mittelpunkt der Welt verzeichnet – das natürlich auch noch „on Top!“.

Einen Lobgesang könnte man auf vieles in Nord Savo anstimmen: Besonders aber auf die Entdeckung der letzten verborgenen Superlative in Finnland in einer Region, die überraschend anders das Gewesene schätzt, die neue Pfade wagt und mittendrin – zwischen oben und unten – Leib und Seele zusammenhält. Ein Besuch der Groß und Klein begeistert.

Kategorie Land & Leute, Outdoor & Natur, Seenland

In meinem Herzen schlägt eine Leidenschaft, die mich seit meinen Teenager-Tagen nicht mehr los lässt: FINNLAND. Eher ist es in all den Jahren schlimmer geworden und die Vermutung "das verwächst sich" oder "es ist nur eine Phase" lässt sich auch nicht mehr anbringen. Also blogge ich mir nun das Finnweh von der Seele und hoffe auf amüsierte und interessierte Leser.

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