Zum Ursprung des finnischen Designs: Von Vögeln, Naturgewalten und Unternehmergeist

Kommt mit auf einen fesselnder Ausflug in die finnische Region Kanta-Häme: Erlebt, wie schillernde Industriegeschichte und bewahrte Traditionen aufeinandertreffen und lasst euch von der unberührten Natur inspirieren, die schon damals die kreative Energie der Menschen beflügelte.

Im Dreieck der finnischen Metropolen Helsinki, Tampere und Turku befindet sich ein beschaulicher Landstrich mit einer bedeutenden Vergangenheit für das Industriezeitalter des Landes: In der Region Kanta-Häme – der Provinz rund um die Sibelius-Stadt Hämeenlinna – schlug einst das Herz der Gründerzeit. Und auch wenn die dampfenden Öfen der Glasbläser, die ratternden Webstühle der Stofffabriken und die geschäftigen Ortschaften seither stiller geworden sind, steht an diesem Ort die Wiege des finnischen Designs. Bis heute ist der Geist dieser schillernden Zeit zu atmen und zugleich wird ersichtlich, warum die beschauliche Natur doch die beste Inspiration für originäre, zeitlose Waren ist. Eine Zeitreise beginnt dabei oftmals mit einem Spaziergang im Wald …

Vogelparadies trifft auf süße Beeren

Schon nach wenigen Metern auf dem Holzsteg durch den finnischen Wald entspannt sich der Geist und die Sinne schärfen sich: Es duftet herrlich würzig nach Nadelbäumen und feuchtem Waldboden. Kleine Blüten säumen den Wegesrand und geleiten uns wie Miniatur-Lampions sicher durch Finnlands tiefstes Moor im Torronsuo-Nationalpark.

»Das Moor ist nährstoffarm, deshalb sind Flora und Fauna hier so besonders und schützenswert!«, erklärt Jouni Palén, der ruhige, etwas knorrige Natur-Guide, als die Bäume um uns herum immer kümmerlicher werden. Sie geben den Blick auf eine offene, rot-braune Fläche frei. »Die Kiefern sind vermutlich steinalt, aber wachsen eben kaum.« Wäre die Fläche nicht mit kleinen Teichen und Pfützen durchsetzt, man fühlte sich versetzt in einen lappländischen Fjell – ganz im Süden Finnlands. »Eine Kranichbeere!« Jouni taucht begeistert hinab auf den Steg, der uns auf einer kleinen Runde sicher durch das insgesamt 30 km2 große Moor führt, und präsentiert uns eine kleine rote Perle. »Nach dem Winter sind sie zuckersüß und die zurückkehrenden Kraniche lieben sie.« Das Areal ist größtenteils für die Vogelwelt besonders zur Brutsaison bis Mitte Juli reserviert und nicht nur für Ornithologen perfekt für die Vogelbeobachtung.

Die Schöpfungsmagie von Glas

»Ein Vogelbestimmungsbuch habe ich immer auf meiner Werkbank liegen!« Marja Hepo-aho präsentiert die naturgetreu ausgestalteten Miniaturvögel, die sie als Glas-bläserin mit viel Präzision gestaltet. Das eigentliche Handwerk des Glasstudios, das Marja zusammen mit dem Glasbläsermeister Kari Alakoski betreibt, versteht die Natur als Vorbild und Gestaltungsmittel. So entstehen ihre originellen Glasobjekte und künstlerisches Alltagsglas. Wie in einer festgelegten Choreografie tanzen die ehemalige Schülerin und der Lehrer zwischen Ofen und Werkplatz hin und her und wie selbstverständlich pustet der eine den zähen, glühenden Glasklumpen auf, während der andere ihn mit nassen Holzpaddeln und wasserdurchtränkten Zeitungspolstern formt. Kleine Einstiche mit einer Nadel wachsen zu im Glas gefangenen Tauperlen und das so entstandene Gefäß bekommt einen Deckel aus Wackerstein aufgedrückt. Wie reine Schöpfungsmagie wirkt dieser Prozess aus Hitze und Dampf.

Ortswechsel: In der kleinen Manufaktur lebt bis heute fort, was bis vor über 60 Jahren nur einen Katzensprung entfernt im großen Stil produziert wurde. Das Finnische Glasmuseum in Riihimäki – einst Epizentrum der Glasproduktion – konserviert seit nunmehr 6 Jahrzehnten die Geschichte der Glasherstellung, die mit deutschen Glasbläsern nach dem Dreißigjährigen Krieg in Finnland begann. In der vom Designer Tapio Wirkkala arrangierten Ausstellung spürt man den Geist der Fabrikarbeiter. Hier sammelt man die wichtigen Wissenssplitter über diesen so faszinierenden Werkstoff: angefangen von der Geschichte des Glases über den Herstellungsprozess von Alltagsgeschirr bis hin zur Dauerausstellung der finnischen Design-Ikonen von Alvar und Aino Aalto, Kaj Franck & Co. Eine umfassende Ausstellung über ein Material, das stets versucht, eine organische Form einzunehmen und doch fast jede gewünschte Form annehmen kann.
Selbst greift die Natur indirekt in die Produktion ein: Das aus finnischem Quarzsand
hergestellte Klarglas schimmert wegen seines hohen Eisengehalts türkisblau, doch
spielt dieser Rohstoff auf dem Lasimäki (dt. Glashügel) in Iittala schon lange keine
Rolle mehr.

Seit über 140 Jahren produziert der wohl bekannteste Glasproduzent des Landes teilweise in Handarbeit Glasdesign im großen Stil. »Nur die geschicktesten unserer Glasbläser können Aalto-Vasen blasen oder Oiva-Toikka-Vögel frei Hand gestalten «, erklärt Jaana Eriksson uns das Treiben, das wir vom Besucherbalkon bestaunen. Zwischen den Öfen mit den poetischen Namen
wie »Ilmari« oder »Jokke« verwandeln geschickte Handwerker in Rekordtempo
einen glühenden Glasball mit Zangen und Metallstäben zum gefiederten Einzelstück. Die etwas andere Vogelbeobachtung.

Selbst greift die Natur indirekt in die Produktion ein: Das aus finnischem Quarzsand hergestellte Klarglas schimmert wegen seines hohen Eisengehalts türkisblau, doch spielt dieser Rohstoff auf dem Lasimäki (dt. Glashügel) in Iittala schon lange keine Rolle mehr. Seit über 140 Jahren produziert der wohl bekannteste Glasproduzent des Landes teilweise in Handarbeit Glasdesign im großen Stil. »Nur die geschicktesten unserer Glasbläser können Aalto-Vasen blasen oder Oiva-Toikka-Vögel frei Hand gestalten «, erklärt Jaana Eriksson uns das Treiben, das wir vom Besucherbalkon bestaunen.

Zwischen den Öfen mit den poetischen Namen wie »Ilmari« oder »Jokke« verwandeln geschickte Handwerker in Rekordtempo einen glühenden Glasball mit Zangen und Metallstäben zum gefiederten Einzelstück. Die etwas andere Vogelbeobachtung.

Das Erbe der Pumpulienkeli

Einzigartig ist der Blick vom hölzernen Aussichts- und Vogelbeobachtungsturm auf das in gedeckten Gelb- und Rottönen leuchtende Torronsuo-Moor. Als sei es sanft in die Landschaft gewebt worden, legt sich das Biotop mit Säumen aus grünen Bäumen unter den finnischen Himmel. Ob der Stofffabrikant Axel Wilhelm Wahren einst das gleiche dachte, als er seine Baumwollspinnerei, Weberei und Textildruck- Fabrik 1847 in Forssa baute? Zumindest wuchs das Örtchen nördlich vom Nationalpark zu einer schillernden Kleinstadt nach dem Vorbild Manchesters. Ratternd, dampfend und betriebsam stellt man sich die Kulisse vor. Das Stadtmuseum auf dem ehemaligen Firmengelände erzählt in einem der Backsteinbauten – dem Baumwolllager – von der schweren Arbeit und den zugestandenen kleinen Privilegien.

Besonders die Pumpulienkeli (dt. Baumwollengel), also jene jungen Frauen, die die Baumwolle sortierten, waren eine kleine Berühmtheit, mit ihren Reifröcken und Uniformen. Das Sortieren der Rohware war ausschlaggebend für die Qualität der Stoffproduktion. »In Forssa gab es die erste Tram Finnlands und noch heute haben wir eines der ältesten Kinos Finnlands von 1906.« Zusammen mit Stadtführerin Mari Noromies-Wahl schlendern wir durch das Stadtzentrum entlang des Flusses Loimijoki, der wie ein beschauliches Sinnbild den Ort passiert und doch irgendwann bei Pori in die Ostsee fließt. In der Puuvillakatu (Baumwollstraße) prangt dann unvermittelt »Finlayson« in großen Lettern auf den Gebäuden.

Bedruckte Stoffe waren eine Besonderheit in den alten Tagen, und die noch heute aktive Textilfirma aus Tampere übernahm die Werkstätten der »Stadt der bunten Stoffe« für ihre eigene Produktion. In einer der Hallen hängen heute immer noch meterlange Stoffbahnen an der Decke oder liegen plan auf ebenso langen Tischen. Outi Saaristo arbeitet in ihrem Stoffatelier mit ähnlichen Siebdrucktechniken wie damals und fertigt für Kunden und eigene Entwürfe Stoffmuster.  »Natürliche Stoffe sind am besten zu bedrucken. Und vor allem natürliche Motive finden sich in den Designs.« Stolz zupft sie an ihrem Kleid, das über und über mit Vögeln bedruckt ist. Schritt für Schritt arbeiten sich die Drucker währenddessen mit dem Drucksieb an der Stoffbahn entlang. Ruhig und fokussiert, der Rapport passt genau – faszinierend präzise.

Präzise waren auch die Stiche der Handarbeitsschülerinnen, die im Wetterhoff-Haus in Hämeenlinna lernten. Die von Fredrika Wetterhoff 1885 gegründete Schule bot den Frauen eine Möglichkeit zu Bildung und besseren Berufschancen. Handy Crafts, wie es neudeutsch so schön heißt, ist im Jahr 2021 weder angestaubt noch altbacken und die damalige Handarbeitsschule eine beliebte Anlaufstelle, um finnische Arts & Crafts- Produkte von lokalen Designern zu erstehen oder sich selbst mit Materialien zum Sticken, Häkeln oder Weben einzudecken – und wer es lernen will, der bleibt einfach zu einem Kurs.

Kreativität und Qualität schätzte man im Hause Wetterhoff zu jeder Zeit, bestückte die Schule doch den finnischen Pavillon zur Weltausstellung 1900 in Paris. Heute verwendet man aus dem Gedanken der Nachhaltigkeit heraus die Wolle der traditionellen Finnschafe zur Produktion des hauseigenen Garns. In dem riesigen Ladengeschäft liegen die Wollknäuel in allen Farben der Saison. »Diese Wolle ist ein wunderbarer Rohstoff für moderne Designs! «, erläutert Hillevi Kaarlenkaski stolz. »Unsere Spezialität sind daraus traditionelle handgeknüpfte Wandteppiche!«

Die harmonischen Farben und Formen der Schaustücke an der Wand bringen mich sofort zurück an unseren Ausgangsort – das friedvolle Moor mit seiner Flora und Fauna und so schließt sich der Kreis: Auch wenn die Fabriken schon lange stillstehen – was einst als Industrie in Finnland den Aufschwung brachte, bleibt dank findiger, kreativer Köpfe, die sich heute mehr denn je auf die Natur und ihren Wert besinnen, erhalten und macht das Land zum Design-Spitzenreiter. Schöner könnte man die Mühen der Arbeiter von damals nicht würdigen.


ALLGEMEINE INFORMATIONEN

www.visithame.fi
ÜBERNACHTEN

AKTIVITÄTEN

  • Tiirinkoski Der an der Ochsenstraße (Härkätie) gelegene Hof ist ein Ausflugsziel für Groß und Klein. Die Åland-Schafe und Highlandrinder vermarktet die Familie im eigenen Café oder in der eigenen Boutique, wo neben naturbelassenen Garnen der eigenen Schafe auch qualitativ hochwertige
    Interieur- und Kleidungsstücke warten. www.tiirinkoskentehdas.fi
  • Das Finnische Glasmuseum Tehtaankatu 23, 11910 Riihimäki www.suomenlasimuseo.fi/english
  • Glasstudio Mafka & Alakoski Hauseigener Glasshop und Workshops
    mit Anmeldung möglich. Lasitehtaanaukio 2, 11910 Riihimäki
    www.mafka-alakoski.fi/en
  • Iittala Fabrik & Outlet 2021 feiert Iittala 140-jähriges Jubiläum.
    Tipp: Unbedingt im Outlet vorbeischauen – Gläser aus Fehl- und Zwischenfarben sind oft ein ganz besonderes Erinnerungsstück und
    wahre Unikate. www.iittalavillage.fi
  • Designmuseum Iittala 50 Jahre lang besteht das Designmuseum,
    das alle Entwürfe der Firmengeschichte zeigt. www.iittalavillage.fi
  • Forssamuseo (Forssa Stadtmuseum) & Stoffmuseum Forssa Über die Geschichte der Stadt und den Einfluss der Firma Finlayson. Wahreninkatu 12,
    30100 Forssa, www.forssanmuseo.fi
  • Wetterhoff-Haus Arts & Crafts-Zentrum mit Design-Shop und
    eigenen Produkten. Wetterhoffinkatu 4 D, 13100 Hämeenlinna www.wetterhoff.fi
  • Stoffatelier Rykkeri Manufaktur für Stoffdruck. Workshops in
    kleinen Gruppen auf Anfrage. Puuvillakatu 4 C 3, 30101 Forssa
    www.rykkeri.fi

OUTDOOR

  • Erärenki / Natur-Guide Jouni Palén Ein erfahrener Natur-Guide mit Outdoor-
    Supply-Verleih, www.erarenki.fi/english
  • Torronsuo-Nationalpark Finnland tiefstes Moor, geeignet zur
    Vogelbeobachtung. www.nationalparks.fi/torronsuonp
  • Häme Nature Centre Im Ruotsejärvi Naherholungsgebiet nahe
    des Torronsuo-Nationalparks mit Café. Härkätie 818, 31380 Letku
  • Liesjärvi-Nationalpark Erlebe das ländliche Leben von einst im
    Korteniemi Museumsbauernhof. www.nationalparks.fi/liesjarvinp
  • Aulanko-Park Romantisches Naturschutzgebiet an der
    Stadt Hämeenlinna. www.nationalparks.fi/aulanko
Kategorie Kunst & Design, Outdoor & Natur, Seenland

In meinem Herzen schlägt eine Leidenschaft, die mich seit meinen Teenager-Tagen nicht mehr los lässt: FINNLAND. Eher ist es in all den Jahren schlimmer geworden und die Vermutung "das verwächst sich" oder "es ist nur eine Phase" lässt sich auch nicht mehr anbringen. Also blogge ich mir nun das Finnweh von der Seele und hoffe auf amüsierte und interessierte Leser.

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